(I)
Va
Va
Lit
er
aar
Ul
ner
i
Neu
Lit
er
a
NYC
Au
gen
ba
Blu
Re
vo
lu
är
Ach
Ger
pe)
Har
Ro
Ro
Wil
lem
sen
Mar
Fel
der
Ger
An
fer
Wil
Gen
a
zi
no
Ol
no
Do
ro
 
El
mi
ger
Su
Zau
ber
zen
ra
fe
Li
ter
a
tur
a
Sa
lon
pa
la
ver
Hin
Au
mig
ver
nis
Lo
Lu
NYC
To
ri
Tex
te
ver
nis
li
To
so
ni
mes
zig
ver
nis
Hin
Au
gen
Fel
der
@
Sa
lon
pa
la
ver
tex
Na
tha
Mar
Fel
der
to
ni
Bi
gi
ni
pha
Ur
An
ro
To
ri
Tex
te
li
At
kin
son
NIN
vor
ge
Hin
gab
e
Hin
ter
to
ler
of
fen
OG9
gue
San
ta
Pha
se
Co
min
Kel
An
dre
ser
lan
Lo
ka
li
en
Ki
kin
to
Ar
Ca
men
Ha
ne
ro
ro
El
mi
Ju
li
Bis
gu
lue
log
ein
er
ei
Ou
rou
mov
lue
log
ein
Ro
er
di
er
de
We
ge
hen
tha
sar
Go
ril
Mor
kam
de
on
te
tot
un
ter
Fa
mer
vo
gel
ben
Tag
Blu
Mei
bar
in
Sei
Ro
man
ei
Li
e
si
ko
pe
ic
Hbf
I
Mu
© Design by buerohaeberli.ch | Programming by meyerweb.ch

Lea Gottheil

gottheil2

© Nomi Gottheil 

 

*1975

Lea Gottheil, 1975 geboren.  Lebt mit ihrem Mann & ihren zwei Söhnen in Zürich. Schriftstellerin & Buchhändlerin

Werkauswahl

Welt unter

Wenn der Faden reisst

Lyrik

 

Persönliche Angaben

Auftritte

Preise

Projekte

Publikationen

Kontakt

Jetzt!

 

Weblinks

www.leagottheil.ch

Welt unter

 

Christoph Flachmüller, Chriesi genannt, hat gleich beim Aufwachen so ein komisches Gefühl. Pauline hat gestern Abend beschlossen, in ihrer Wohnung zu schlafen, weil sie vergessen hat, ihre Balkonpflanzen zu giessen. Ein spröder Haargummi liegt auf dem Stuhl, wo sie gestern noch miteinander Wassermelone geschlürft und darüber geredet haben, dass Pauline sich eine funktionierende Fahrradklingel kaufen sollte. Chriesi spannt den Haargummi zwischen zwei Fingern, schnuppert daran und ist enttäuscht, dass er nicht nach Paulines Haaren riecht. Er wundert sich, weshalb heute morgen so wenig Zeit bleibt, den Kaffee sitzend zu trinken und das Kalenderblatt zu studieren, das ihm immer einen Spruch mit auf den Weg gibt. Heute, Chinesisches Sprichwort: Obwohl sie nicht einmal hundert Jahre alt werden, bereiten sich die Menschen Sorgen für tausend Jahre.

Der Spruch streift ihn auf dem Weg zum Badezimmer. Chriesi ist zu müde, um sich zu überlegen, ob er zu den Menschen gehört, die sich Sorgen bereiten. Er weiss nur, dass ihm Paulines Mund fehlt, um einen Abschiedskuss für den Tag darauf zu drücken. Also lallt er in den Spiegel, Chriesi, dir wünsche ich einen guten Tag, wankt vor Müdigkeit, putzt sich die Augecken aus und steigt in die streng riechenden Turnschuhe.

 

Eine Reihe Menschen säumt die Tramhaltestelle. Niemand spricht, niemand lacht und es ist Chriesi, als warteten sie, bis ihnen jemand ihr Schicksal verrät. Chriesi stellt sich dazu. Eine scharfe Lautsprecherstimme schneidet in sein Ohr: Wegen technischer Schwierigkeiten beim Hauptbahnhof fahren die Trams heute in unregelmässigen Zeitabständen. Man bitte um Verständnis und Chriesi wartet auf das „Piep“, welches ihm immer durch den ganzen Körper fährt, das „Piep“ ertönt und Chriesi durchzuckt es auch dieses Mal. Das Tram fährt ein. Auf dem Rücken des Mannes, der vor Chriesi einsteigt, liest er grau auf schwarz:  welt unter.

Chriesi findet einen Sitzplatz und lässt seine Müdigkeit vom Wackeln des Trams schaukeln. Wieder die Stimme: Dieses Tram fahre nicht die übliche Strecke, bringe sie aber alle zum Ziel. Hinter ihm hört er eine junge Stimme sagen: Der Bahnhof kracht zusammen.

Chriesi wundert sich, wie gelassen ihn diese Botschaft erreicht. Natürlich. Nach der Wirtschaft jetzt auch noch der Bahnhof. Möglich, dass jemand eine Bombe platziert hat und man sagt einfach, der Bahnhof krache zusammen. Eine Bombe und es ist nur eine Frage der Zeit. Wer von seiner Familie, seinen Freunden hält sich jetzt gerade am Bahnhof auf? Es gibt immer jemanden. Es gibt immer jemanden, der jemand kennt, der… Chriesi zieht den Reissverschluss seiner Jacke zu. Vögel flattern auf, über den Dächern verfärbt es sich grau. Und doch fängt Chriesi an, sich wohl zu fühlen und plötzlich weiss er auch, warum. Das Tram fährt durch Paulines Strasse und tatsächlich, da geht Pauline in ihrer grünen Jacke! Wie immer schreitet sie nachdenklich, doch den Kopf hält sie leicht nach oben, dorthin, wo alles Gute her kommen soll.

Chriesi klopft gegen die Scheibe. In dieser Stadt hämmert niemand gegen Scheiben und laut rufen tut schon gar niemand. Also versucht Chriesi durch einen intensiven Blick Paulines Aufmerksamkeit zu gewinnen, aber Pauline guckt jetzt in einen Papiersack ihrer Bäckerei, zieht ein Brötchen hervor, strahlt es an und beisst hinein. Da geht seine Liebe. Da geht sie, die er heute anruft, neben der er vielleicht heute und bis zu seinem letzten Tag einschläft. Bis zu seinem letzten Tag. Welt unter. Schnell das Telefon.

„Pauline, ich bin es. Ich habe dich grad gesehen.“

„Chriesi, my Love, wie schön rufst du an. Wie meinst du, du hast mich gesehen?“

„Mein Tram macht heute einen Umweg und fährt durch deine Strasse und da sehe ich dich und du siehst mich nicht und da dachte ich, vielleicht darf ich dich nochmals sehen, bevor die Welt unter geht. Der Hauptbahnhof droht nämlich zusammenzubrechen und irgendwie ist alles merkwürdig heute, die Anzeichen stehen alle auf Weltuntergang, länger schon und ich dachte halt, ach nichts.“

Paulines Stimme klingt hell wie ein Spiel im Wind und beruhigt ihn sofort: „Chriesi, wie stellst du dir überhaupt so einen Weltuntergang vor?“

„Wie ein Haus, das zusammen stürzt. Ein Erdbeben. Eine Lawine. Etwas schnelles, sehr lautes und dann Stille.“

Pauline lacht: „Aber dann brauchst du dich nicht zu fürchten. Wenn die Welt schnell untergeht, merken wir es nicht einmal. Niemand hat mir je erklärt, wie denn die Welt untergeht. Bricht da ein Feuer aus? Gelangt die Welt in eine Atmosphäre, die uns nicht mehr atmen lässt? Alle reden vom Weltuntergang und keiner weiss genau, wie das vor sich gehen soll. Das Schlimme, Chriesi, das wirklich Schlimme sind die langsamen Weltuntergänge. Unsere Welt, aus der plötzlich alle Farbe entwiche, und wir nicht mehr wüssten, ob wir uns lieben.“

Chriesi erschrickt: „Sag doch so etwas nicht.“

Pauline sagt: „Aber das wäre so ein langsamer, absolut tragischer Weltuntergang, ganz leise und so schmerzhaft, dass wir uns vielleicht nie davon erholen. Oder unsere Freunde wanderten alle weg. Oder wir würden unschuldig angeklagt.“

„Pauline, ich muss jetzt ins Büro. Versprich mir, dass wir heute Abend im selben Bett schlafen, ja? Ich habe so ein Gefühl in der Brust.“

„Ich verspreche es dir, du bester Christoph Flachmüller in meiner Welt. Aber erst gehe ich eine Fahrradklingel kaufen“, sagt Pauline.

Der Mann mit der grauen Aufschrift auf schwarzem Grund welt unter steigt vor Chriesi aus.

„Entschuldigen sie bitte“, sagt Chriesi.

„Ja?“ sagt der Mann und grinst.

„Haben sie Näheres über das mögliche Zusammenkrachen des Hauptbahnhofs gehört?“ fragt Chriesi.

„Ach, irgendwo auf einer Baustelle ist etwas eingestürzt und nun ist eine Wand unter dem Bahnhofplatz nicht mehr gestützt. Die kriegen das schon in den Griff“, erklärt der Mann.

„Danke. Ich wünsche ihnen einen schönen Tag“, sagt Chriesi, steckt beide Hände in die Hosentaschen und geht pfeifend ins Büro.