Als der Morgen kam
"Darf ich auch?" "Klar." Sie stellt sich neben mich und putzt sich die Zähne. Dabei ist sie wie Du und wir wie ein Ehepaar. Aber an Dich denke ich nicht. Sie zieht ihren Pullover aus und trägt wieder dieses T-Shirt, in dem ich sie kennengelernt habe. Sie fühlt sich so an, dass ich sie die ganze Nacht nicht loslassen werde.
Dich lasse ich nachts auch kaum los. Wenn Du morgens aufstehst, immer früher als ich, viel zu früh, ist es ein Losmachen, Loslassen, täglich. Du stehst auf und öffnest das Fenster.
Sie steht unschlüssig im Raum. Ich küsse sie wieder und wieder und ziehe sie langsam zum Bett.
"Frische Luft" wirst Du gleich sagen, mich anlächeln und aus dem Zimmer sein, bevor ich nach Dir greifen kann.
Sie ist einfach da. Ich ziehe sie langsam aus und frage bei jedem Teil um Erlaubnis. Die Antworten "Ja", "Ich weiss nicht ", "Nein" werden zärtlich ignoriert und Kleidungsstücke wie Grundsätze über Bord geworfen. Und sie küsst gut.
Du stehst in der Küche, mischst Müsli und Joghurt. Ich trete von hinten an Dich heran und verschränke die Arme vor Deinem Bauch. Du hältst kurz inne, legst den Kopf nach hinten und schliesst die Augen für wenige Sekunden. "Na, ausgeschlafen? Ich muss bald los." Der letzte Satz erstickt schon im Müsli, das Du Dir mit einem dieser riesigen Silberlöffel, die wir von Deiner Grossmutter geerbt haben, in den Mund schiebst. "Kommst Du heute abend mit zum Schwimmen? Könnte Dir nicht schaden." Du leckst diesen riesigen Löffel mit der Zungenspitze ab und schlägst mir damit auf den Bauch,
den sie küsst. Ihr Zunge kreist fordernd um meinen Bauchnabel. Es ist gut, es ist sehr gut. Als wir endlich einschlafen, hält sie meine Hand und überwindet so das hölzerne Gräbchen zwischen den Betten. Gräbchen, so nennt sie das.
Du hast Ritze gesagt damals und hast sie gehasst. Hast sie wirklich gehasst, diese Betten mit Ritze.
Ihr ist das im Moment irgendwie nicht wichtig.
Du hast den Tisch schon gedeckt, setzt Dich, trinkst Kaffee, isst Müsli. Ich bin froh, dass die Zeitung noch nicht da ist, sehe Dich einfach nur an, auch bei der zweiten Zigarette. Du schaust prüfend, legst Deine Hand auf meine, wie immer, kurz bevor Du vom Tisch aufstehst.
Du ziehst Dich an, ich sehe Dir zu, gern sehe ich Dir zu, versichere, dass ich mit zum Schwimmen kommen werde. Du bist jetzt fertig, küsst mich und tippst mir kurz auf die Nase. "Um fünf", sagst Du und gehst lächelnd zur Tür. Ich gehe zum Fenster und sehe Dir nach.
Als der Morgen kam, war sie immer noch da, kuschelte sich an mich, als gehöre sie dahin, lächelte mich an, bis ich erwachte. Als ich nicht erwachen wollte, nahm sie ein Buch, las und versuchte, weiterzulächeln.
Als ich nicht länger vorgeben konnte zu schlafen, haben wir uns geliebt. Sie bemüht hingebungsvoll, ich eher egoistisch. Sie bittet mich ihr etwas Nettes zu sagen, ich will lieber nicht drüber nachdenken, ob ich ihr etwas Nettes zu sagen habe, und ergehe mich in einem Gemeinplatz über guten Sex. So in der Art, wenn es einem selbst gefällt, dann meist auch dem anderen. Als ich aus dem Bad komme, nimmt sie mich in die Arme, als gehörte ich dahin. Sie zieht sich an, ich küsse sie, sage "Bis zum nächsten Mal", sie würde gern bleiben und geht, statt zu warten, bis nichts passiert.
Wir werden vom Schwimmen nach Hause kommen, Du wirst mein Haar verwuscheln, das ein wenig nach Chlor riecht, wirst Dich in den blauen Sessel fallen lassen, die Beine über die Lehne baumeln lassen, in einen Apfel beissen. Ein paar Stunden später wirst Du neben mir im Bad stehen, Zahnpasta auf meine Zahnbürste streichen und lachend sagen:"Ich geb Dir einen aus."
Renate Leukert