meine mutter
wenn die kühlschrankordnung zum glaubenskrieg wird, ist es zeit, die wg zu wechseln, sagt meine schwester.
früher hiess das nicht wg, sondern kommune, und war sehr anrüchig, sogar verwerflich. im nachbarhaus gab es so eine kommune, zum entsetzen meiner mutter. wir kinder hatten uns davon fernzuhalten, wer weiss, was die uns angetan hätten. aber die schnappschüsse vom wg- und sexualleben unserer nachbarn, die regelmässig am fenster ausgestellt wurden, haben mich schwer beeindruckt als kleinkind und eigentlich auch heute noch. meine schwester ist cooler, schon immer gewesen. ist während des studiums ausgezogen. seit meine schwester in einer kommune lebte, nannte meine mutter das wohngemeinschaft. betont irgendwie den ökonomischen charakter des arrangements mehr.
als ihr freund seine ausbildung zum versicherungsfachwirt abgeschlossen hatte, ist meine schwester dann ausgezogen aus der wg-kommune. nun also die zweierkiste. wilde ehe in reinstform. wilde ehe, auch so etwas verruchtes. meine mutter war entsetzt und sowieso der meinung, dass man einen guten fang sofort heiraten sollte. mein mädchen, die jungen männer heutzutage machen es sich einfach, nehmen sich alle rechte eines ehemannes heraus, aber nicht die pflichten. die sexuelle revolution ist spurlos an meiner mutter vorübergegangen.
wilde ehe, wild ist da meist gar nichts. der versicherungsfachwirt meiner schwester ordnet die gewürze alphabetisch. wilde ehe. heute heisst das eheähnliche gemeinschaft. das ist gut, das ist deutsch, trifft die sache und klingt ungefähr so aufregend und erotisch wie eine mandelentzündung. eheähnliche gemeinschaft klingt nach warmen füssen. egal, ob bettflasche oder flasche im bett, hauptsache warme füsse. man stelle sich vor, etwas, was meine eltern früher in angst und schrecken versetzt hat, heisst heute eheähnliche gemeinschaft, und man kann es mit einem versicherungsfachwirt tun. in der schweiz heisst das konkubinat. juristischer fachterminus. das ist ein wort, das sind bilder, die sich da vor meinem geistigen auge auftun: meine schwester, im schwarzen spitzennachthemd lehnt lasziv im türrahmen, nicht in ihrer eheähnlichen wohnung, sondern irgendwo grösser, geheimnisvoller. ihr versicherungsfachwirt naht in schiesser-feinripp ¦ vergessen sie´s. kein gutes bild. wie soll ich so was auch beschreiben, ich, deren aufklärung sich beschränkt auf die kommune von nebenan und bastei-romane. "tu´s noch einmal, dr. sommer" oder so hiessen die.
konkubinat. farewell my concubine. sehnsucht, abenteuer, verbotene leidenschaft, gelebte gefühle, gefühlte gefühle, meterweise damast und spitze.
im lexikon steht unter konkubinat: das zusammenleben zweier personen verschiedenen geschlechts ohne förmliche eheschliessung in eheähnlicher gemeinschaft. aber es klingt besser. konkubinat. deswegen lebe ich so gern in der schweiz. allein.